Transparenz in der Hauptverhandlung

NStZ Editorial Heft 12/2020
Plädoyer für mehr Transparenz in der Hauptverhandlung

Als Verteidiger in Umfangsverfahren stellt man sich oft die Frage, wie der Stand der Meinungsbildung beim Kollegialgericht insgesamt ist. Oftmals ist man auf „taktische Beweisanträge“ angewiesen, um letztlich die bisherige Sicht auf Rechts- und Beweisfragen zu ergründen. Daneben liefert oft die Verhandlungsführung als solche Hinweise auf dessen Denkweise. Offen gestellte Fragen seitens der Verteidigung, wie das Gericht zu bestimmten Beweisfragen steht, werden leider häufig mehr oder weniger zurückgewiesen mit dem Hinweis, dass sich die Kammer dazu erst im Rahmen der Urteilsbegründung verhalten werde. Leider ist diese Praxis gerade bei kleineren Gerichten häufig anzutreffen. Offenbar wird befürchtet, die Verteidigung provoziere, einen Befangenheitsgrund.

Dass es auch anders gehen kann, hat unlängst der Vorsitzende im ersten cum/ex-Verfahren am LG Bonn gezeigt. Dort wurde nach Durchführung eines nicht unerheblichen Teils der Beweisaufnahme eine „vorläufige Zwischenbilanz“ gezogen, die aus einem etwa zweistündigen Monolog des Vorsitzenden bestand, der in selten dargebotener Offenheit, gerade in einem solchen bundesweit von der Strafrechtswelt beäugten Verfahren, die vorläufige Bewertung des Spruchkörpers insgesamt zu Beweisfragen und rechtlichen Fragen darstellte. Die detailgetreue und offene vorläufige Bewertung war dabei nicht nur für die anwesenden Verfahrensbeteiligten, sondern auch für die größtenteils juristisch sachkundigen Prozessbeobachter verblüffend. Der Vorsitzende betonte natürlich mehrfach, dass es sich dabei um eine lediglich vorläufige Bewertung handele, die er aber im Sinne einer offenen Verfahrenskommunikation mitteilen wolle. Im Kern gab es dabei sowohl für die Verteidigung, aber auch für die Ermittlungsbehörde, mehr oder weniger deutliche Hinweise. Keiner der Verfahrensbeteiligten folgerte daraus eine mögliche Befangenheit.

In der StPO gibt es seit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren aus dem Jahr 1994 eine ausdrückliche Regelung für eine solche Erörterung des Verfahrensstandes mit den Verfahrensbeteiligten in Gestalt des § 257 b StPO. Eine offene und kommunikative Verhandlungsführung dient der Verfahrensförderung und sollte eigentlich als selbstverständliche Anforderung an eine sachgerechte Prozessleitung angesehen werden. Die Vorschrift dient ganz eindeutig der Förderung eines transparenten Verhandlungsstils und soll der Stärkung des kommunikativen Elementes im Strafverfahren dienen. Der „Stand des Verfahrens“ im Sinne des § 257 b StPO knüpft nicht an die eher formalen Voraussetzungen des rechtlichen Hinweises im Sinne des
§ 265 Abs. l oder 2 StPO an – er ist also ein „Weniger“, welches jedoch für die Verfahrensbeteiligten (nicht nur die Verteidigung) umso bedeutsamer ist. Gemeint sind rechtliche Einschätzungen des Gerichtes zu Verfahrensfragen, zu etwaigen Verfahrenshindernissen oder Beweisverwertungsverboten, insbesondere aber auch hinsichtlich des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme, wie etwa die Bewertung von Zeugenaussagen oder sonstigen Sachbeweisen.

Grundsätzlich steht § 257 b StPO natürlich in unmittelbaren Zusammenhang mit der maßgeblichen Verständigungsvorschrift des § 257 c StPO und kann, muss aber nicht, zur Vorbereitung einer Verständigung dienen.

Leider billigt die Rechtsprechung Verteidigung und Angeklagtem keinen Anspruch auf eine solche Erörterung zu, obwohl diese ein regelmäßiges Interesse an der (vorläufigen) Einschätzung des Gerichtes haben. Sinnvoll sind solche Zwischenbilanzen im Sinne der genannten Vorschrift immer dann, wenn es sich um komplizierte Sachverhalte oder schwierige Rechtsfragen handelt. Im ersten cum/ex Verfahren hat dieses Vorgehen allen Verfahrensbeteiligten Klarheit verschafft.

Wünschenswert wäre also insgesamt eine offenere und transparentere Verhandlungsführung der mit solchen Verfahren befassten Spruchkörper. „Offenen Worte“ sind immer dazu geeignet, das Strafverfahren in alle Richtungen zu fördern. Die befassten Strafkammern haben es selbst in der Hand, durch mehr Transparenz in ihren Verfahren einen kommunikativen Prozess anzustoßen und zu fördern, der dann möglicherweise in eine Verständigung übergehen kann. Ein Befangenheitsgrund ist das nicht. Vielmehr fördert es wechselseitiges Vertrauen. Auch in die Verteidigung, die nach wie vor Organ der Rechtspflege ist.

RA und FAfStR Frank Eckstein, München