Cum-Ex-Prozess Wiesbaden

JUVE Artikel 25.03.2021
Verteidigung im Cum-Ex-Prozess: Hanno Berger „nicht ordnungsgemäß geladen“

Am Landgericht Wiesbaden hat heute ein weiterer Prozess zur strafrechtlichen Aufarbeitung von Cum-Ex-Aktiendeals begonnen. Die Justiz verhandelt über die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt gegen den Anwalt Dr. Hanno Berger und zwei ehemalige Mitarbeiter der Hypo-Vereinsbank (Az. 6 KLs – 1111 Js 27125/12). Berger, der als Architekt der Cum-Ex-Geschäfte gilt, erschien nicht zum Auftakt.

Der heutige Prozesstag in der Leichtbauhalle am Wiesbadener Stadtrand dauerte für Bergers Anwälte, Kai Schaffelhuber und Sebastian Gaßmann, ganze neun Minuten. Dann war klar: Das Verfahren gegen ihren Mandanten Dr. Hanno Berger wird abgetrennt. Zur Verhandlung war der 70-Jährige nicht erschienen. Die Begründung für seine Abwesenheit zu verlesen, ging schnell: Ihr Mandant sei nicht ordnungsgemäß zum Verfahren geladen worden, las Gaßmann in seiner Begründung vor. Berger lebe in der Schweiz, wo ihm das Poststück am 15. März zugestellt worden sei. Mit Haftandrohung, sollte er nicht erscheinen. Dieses Recht, so Gaßmann, stünde Deutschland in der Schweiz aber gar nicht zu. Darüber hinaus sei der Mandant „hospitalisiert“, also im Krankenhaus, ein entsprechender Beleg würde folgen.

Berger – so hieß es später in der Anklageverlesung – sei der „Spiritus Rector“ der umstrittenen Cum-Ex-Konstruktionen. Heute sollte er sich gemeinsam mit zwei weiteren Angeklagten, die in den Jahren 2006 bis 2008 für die Hypovereinsbank tätig waren, wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen und gewerbsmäßigem Bandenbetrugs verantworten. Ihnen drohen 15 Jahre Haft.

Schaffelhuber sieht in der Anklage „hanebüchenen Unsinn“, wie er wenige Minuten vor Prozessbeginn erneut betonte. Die Deals seien nicht verabredet gewesen, Käufe und Verkäufe stünden nicht miteinander in Verbindung. Mit der Mutmaßung, dass man nun das Verfahren gegen seinen Mandanten abtrennen würde, behielt er recht. In der Anklage, die die beiden Staatsanwälte Dr. Christoph Weinbrenner und Dr. Hun Chai in den folgenden zwei Stunden abwechselnd verlasen, spielte Berger trotzdem eine tragende Rolle. Das Cum-Ex-Modell sei auch als „Dr. Berger Modell“ bekannt gewesen. Die Konstruktion, die dieser gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Finanzinvestor Raphael Roth aufgesetzt habe, hätte als „Blaupause“ gedient. „Dr. Berger war die zentrale treibende Kraft“, so Weinbrenner.

1.000 Seiten Anklage

In dem Verfahren geht es um den Zeitraum zwischen 2006 und 2008. Die Angeklagten sollen mittels Cum-Ex in die Staatskasse gegriffen haben, in dem Banker und Aktienhändler mit ihren Berater Aktien im Wert von 15,8 Milliarden Euro rund um den Dividendenstichtag so hin und her schoben, dass sie sich am Ende in Summe 113 Millionen Euro vom Staat an Kapitalertragssteuern erstatten ließen, die sie so zuvor gar nicht abgeführt hatten. Die Anklageschrift umfasst knapp 1.000 Seiten.

Auch Finanzinvestor Roth zählte ursprünglich zu den Angeklagten, ebenso wie Paul Mora, der damals als Händler verantwortlich für die Transaktionen war. Mora hält sich inzwischen in Neuseeland auf, sein Verfahren wurde zuvor schon abgetrennt. Er wird per internationalem Haftbefehl gesucht. Ebenfalls abgetrennt wurde das Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte mit Wohnsitz in Irland und Gibraltar wegen der aktuellen Reisebeschränkungen.

Dass Berger heute nicht erschien, ist keine Überraschung – auch wenn er im Sommer 2019 im JUVE-Interview auf die Frage nach seinem Erscheinen vor Gericht mit „Selbstverständlich!“ antwortete. Er lebt seit 2012 im schweizerischen Zuoz im Oberengadin, nachdem es kurz zuvor eine Razzia in seiner damaligen Kanzlei Berger Steck & Kollegen gegeben hatte.

Aus Steuerhinterziehung wird gewerbsmäßiger Bandenbetrug

Im vergangenen November erließ das Landgericht Wiesbaden Haftbefehl gegen ihn und stellte bei den Schweizer Behörden einen Auslieferungsantrag. Allerdings verfolgt die Schweiz ihre eigene Politik, Steuerhinterziehung gilt dort nicht zwangsläufig als Auslieferungsgrund. Berger hatte Beschwerde gegen den Beschluss des Haftbefehls eingelegt. Diese Beschwerde hatte das Oberlandesgericht Frankfurt abgelehnt und im Zuge dessen die Steuerhinterziehung als gewerbsmäßigen Bandenbetrug gewertet, wodurch eine Auslieferung wahrscheinlicher werden dürfte.

Mit Schaffelhuber zählt Berger weiterhin auf seinen langjährigen Vertrauten. Beide waren bis 2010 Partner bei Dewey & LeBoeuf, bis Schaffelhuber zu Allen & Overy ging. Die Kanzlei verließ er 2017 – wegen seiner Auffassung zur rechtlichen Zulässigkeit der Cum-Ex-Geschäfte. Anschließend eröffnete er mit Dr. Hélène Müller Schwiering in Luxemburg unter Schaffelhuber Müller & Kollegen eine eigene Boutique. Soweit bekannt haben sich beide inzwischen aber getrennt und sind als Einzelanwälte tätig. Bei auslieferungsrechtlichen Fragen setzt Berger auf den Kölner Spezialisten Dr. Nikolaos Gazeas von Gazeas Nepomuck. Gazeas hatte kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, als er den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny bei seinem Aufenthalt in Deutschland zu einem russischen Rechtshilfeersuchen beriet. Vorsitzende Richterin der Strafkammer ist Dr. Kathleen Mittelsdorf.

Die beiden ehemaligen Angestellten der Hypovereinsbank setzen auf Dr. Rainer Spatscheck und Dr. Martina Sunde von der Münchner Kanzlei Kantenwein Zimmermann Spatscheck & Partner sowie auf Dr. Frank Eckstein und Dr. Christian Fröba von Eckstein & Kollegen.

Das Verfahren in Wiesbaden wird am 8. April fortgesetzt. Wann es für Berger weitergeht, steht noch nicht fest. Überdies droht ihm auch in Bonn Ungemach. In dem dortigen Verfahren werden seine Cum-Ex-Geschäfte und die Hamburger Privatbank M.M. Warburg im Mittelpunkt stehen. Diese hat Berger auf Schadensersatz verklagt. (Eva Flick; mit Material von dpa)